GE-Sell: Das Projekt rund um den Sellerie


Wer kennt ihn nicht? Kulinarisch aus keiner Küche wegzudenken ist Sellerie (Apium graveolens L.) ein ständiger Begleiter unserer Geschmacksnerven. Ob in Suppen als Gemüse oder in Gewürzsalz oder –mischungen, er ist in unserer Kultur nicht wegzudenken. Vielleicht wird ihn nicht jeder auf Anhieb als Pflanze in der Natur Bild "Bilder:GE_Sell.jpg"erkennen, aber doch spätestens beim Geruch sollte alles klar sein. Doch nur sehr wenige wissen, dass er auch Verwandtschaft hat. Es gibt insgesamt vier wilde Sellerie Arten die in Deutschland einheimisch sind: der Echte Sellerie (Apium graveolens L.), der Flutende Sellerie (Helosciadium inundatum W.D.J. Koch), Knotenblütiger Sellerie (Helosciadium nodiflorum W.D.J. Koch) und der Kriechende Sellerie (Helosciadium repens W.D.J. Koch). Trotz aller Beliebtheit sind leider alle vier Arten auf der Roten Liste der gefährdeten Pflanzenarten mit der Einstufung „gefährdet“ bis „vom Aussterben bedroht“ zu finden (BfN 2017). Das Julius Kühn Institut in Quedlinburg, der Botanische Garten Osnabrück und die Humboldt Universität zu Berlin, haben sich zur Aufgabe gemacht, die verbleibenden Populationen besonders zu schützen.
Das Projekt GE-Sell wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BEL) Bonn seit 2015 gefördert (FZ 2814BM110). Das Ziel ist es, Genetische Erhaltungsgebiete zu etablieren um nicht nur dem Umweltschutz Genüge zu tun, sondern auch die genetischen Ressourcen dieser Arten für die Pflanzenzüchtung zu bewahren. Denn Optimierungen von Kulturformen durch Züchtung kann zwischen Leben und Tot entscheiden. Bestes Beispiel sind Kartoffelfäulen, die zu starken Ernteausfällen und zu Hungersnöten geführt haben. Erst die Kreuzungen der Wildform mit der Kulturform führten zu einer Resistenz gegen den Erreger. Aber auch der Gebrauch von Pestiziden kann somit reduziert werden. Aber wo befinden sich die Populationen? Können wir alle schützen? Und wenn nicht, welche müssen wir unbedingt schützen?
Mit diesen Fragen beschäftigt wir uns für die Art H. repens seit 2015. Die Populationen wurden mit Hilfen von Landesumweltämtern und Experten vor Ort ausfindig gemacht und bewertet. Da nur begrenzt Mittel zur Verfügung stehen, musste eine Auswahl getroffen werden. Um möglichst die zu schützen, die eine hohe genetische Diversität aufweisen, wurde eine Analyse mit sogenannten Mikrosatteliten durchgeführt (sie entsprechen dem Vaterschaftstest oder den DNA Tests der Kriminalistik). Durch die Analyse wurden zwei Populationen ausfindig gemacht: die Population, die sich von allen anderen Population am meisten unterscheidet (könnte spezielle Gene enthalten) und die Population, die dem Durchschnitt aller untersuchten Populationen entspricht. Alle anderen 13 Populationen wurden nach Kriterien wie Populationsgröße, Gefährdung etc. ausgewählt. Doch das Schwierigste kommt erst noch. Im nächsten Schritt stehen Gespräche mit Besitzern der Fläche, Ämtern und Organisationen vor Ort an, um eine langfristige Erhaltung zu gewährleisten. Wenn Ende 2019 alles erfolgreich abgeschlossen ist, kann dieses Projekt als Modell auch für andere wildlebende Verwandte von Kulturarten genutzt werden. Denn Deutschland hat sich in dem „Übereinkommen über biologische Vielfalt“ (CBD) und im „International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture“ (FAO) verpflichtet, diese Pflanzengruppen explizit zu schützen. Auf das er weiterhin in der Suppe schwimmt!!


Wussten Sie schon?


Deutschland hat die ersten Genetischen Erhaltungsgebiete Europas etabliert.



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Die vier Wildselleriearten Deutschlands (verändert nach Frese et al. (2018). Von links oben nach rechts unten: Apium graveolens, Helosciadium nodiflorum, H. repens, H. inundatum. Rote Liste Status Deutschlands (BfN, 2018) befindet sich unter den Bildern (RL2- Stark gefährdet, RL3- Gefährdet) (v. l. n. r. and v. o. n. u. U. Meyer-Spethmann (1 and 2), A. Wilhelm, JKI (3), L. Frese, JKI (4)).]


Keine Frage – die Natur sollte um ihrer selbst willen geschützt werden. Es wird vermutlich auch noch jedem einleuchten, dass die Natur Auswirkung auf unsere Psyche hat und wir sie für den Ausflug ins Grüne oder im Urlaub nutzen, um uns vom Alltagsstress zu erholen. Aber wussten Sie, dass Mutter Natur einen direkten Beitrag leistet, damit Sie und ich nicht verhungern? Vermutlich schon, da wir seit unserer Kindheit wissen, dass das Gemüse auf dem Teller nicht nur Dekoration ist und das Fleisch nicht am Spieß wächst. Allerdings betrachten wohl die wenigsten von uns landwirtschaftliche Flächen als Natur (Projekt historisches Grünland). Und doch stammen all diese Pflanzen aus der Natur.


Die Anfänge der klassischen Pflanzenzucht

Anstatt die mitunter geringe Masse an Früchten von Wildpflanzen mühsam zusammenzutragen, hat der Mensch es geschafft im Laufe von tausenden von Jahren Wildpflanzen für die Ernährung so zu optimieren, dass Vorräte angelegt werden konnten und Hunger überwunden wurde. Das sind die Anfänge der klassischen Pflanzenzucht und der Landwirtschaft wie sie auch noch heute angewandt werden. Ohne diese beiden treibenden Kräfte wäre der Mensch niemals auf dem Mond gelandet, oder hätte große Gemeinschaften bilden können, die Schutz bieten. Doch erst seit kurzem verstehen wir die Auswirkungen von Hochleistungssorten.

Durch die Selektion der Pflanzenzucht hin zu hohen Erträgen, blieben Nährstoffgehalt, natürliche Resistenzen gegenüber Schädlingen und Krankheiten und andere Merkmale oft außen vor und gingen den Sorten verloren. Die Wildlebenden Verwandten der Kulturarten (Wildpflanzen für Landwirtschaft und Ernährung - WEL) hingegen besitzen diese noch. Das liegt daran, dass die Natur genau wie der Pflanzenzüchter selektiert, also nur die Pflanzen auswählt, die bestimmte Merkmale besitzen. Allerdings sind die Prioritäten von Natur und Pflanzenzüchter unterschiedlich. Der Pflanzenzüchter selektiert vorwiegend auf Ertrag. Die Natur allerdings selektiert auf Überleben. Wenn eine Pflanze (das gilt für jeden Organismus) durch seine genetische Ausstattung nicht in der Lage ist zu leben oder sich fortzupflanzen, wird sie aussterben. Allerdings betreibt Mutter Natur diese Züchtung wesentlich länger als der Mensch (mehr als 3,4 Milliarden Jahre). Somit findet man in den Wildformen oft ein Arsenal an Verteidigungsmechanismen gegenüber Umweltstress.

Davon kann der Mensch sich eine Scheibe von abschneiden. Und genau das versuchen wir mit den genetischen Ressourcen, also der genetischen Ausstattung von Wildpflanzen. Natürlich können wir nicht zurück zum Status „wir ernähren uns ausschließlich von Wildpflanzen“. Dafür reicht der Ertrag bei weitem nicht aus. Aber wir können durch züchterische Verfahren, die durchaus auch ohne Gentechnik auskommen, diese Ressourcen von Wildpflanzen nutzen. Durch Einkreuzung der Wildform in die Nutzpflanzen kann man erreichen, dass die positiven Eigenschaften in die neue Sorte vererbt werden. Das kann zur Reduktion von Pestiziden und Fungiziden beim Anbau (was gleichzeitig auch die Belastung für Insekten reduziert) aber auch zur gesünderen Ernährung durch bestimmte Inhaltsstoffe führen. Noch viel wichtiger ist: wir können Sorten erzeugen, die auf den kommenden Klimawandel vorbereitet sind. Der Sommer 2018 hat uns gezeigt, dass unsere Kultursorten bei andauernder Trockenheit und ausbleibendem Regen an ihre Grenzen stoßen. Wenn die Prognosen der Klimamodelle nur annähernd stimmen sollten, werden solche Bedingungen häufiger auftreten.


Die Ressourcen sind gefährdet

Allerdings sind diese Ressourcen gefährdet. Laut einer Studie sind von den 572 WEL-Arten in Europa ca. 11% gefährdet, weitere 4% gelten bald als gefährdet, wenn sich nicht etwas Grundlegendes ändert (von ca. 29% fehlen uns schlicht und ergreifend ausreichend Daten) (WIPs-Schutz gefährdeter Wildpflanzenarten). Das hat verschiedene Gründe: Die häufigsten sind Verluste des Lebensraums durch Baumaßnahmen, erhöhter Nährstoffeintrag über Luft und Wasser, Schadstoffeinträge aber auch Veränderung in der Nutzung von Flächen.

Das Projekt GE-Sell wurde vom JKI, dem Botanischen Garten Osnabrück und dem Albrecht Daniel Thaer Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Humboldt- Universität zu Berlin in Kooperation durchgeführt. Es beschränkte sich zwar nur auf die vier WEL-Arten des Selleries (Abb. 1), welche gefährdet bis stark gefährdet sind, aber es soll vor allem auch als Vorreiterprojekt dienen um weitere WEL-Arten zu schützen. Es handelt sich nämlich dabei um ein Modell und Demonstrationsvorhaben, welches explizit zur Nachahmung aufruft.

Durch genetische Analysen und Auswertung diverser Standortfaktoren wurden genetische Erhaltungsgebiete vorgeschlagen. Den fünf bereits etablierten Gebieten sollen im Laufe des Jahres 2019 vierzig weitere folgen. Ein genetisches Erhaltungsgebiet soll das gesamte Biotop schützen, in dem sich eine oder mehrere WEL-Arten befinden.

Auf der Fachtagung am 4. bis 5. Juni 2019 wurden diese Gebiete vorgestellt und offiziell mit einer Urkunde für die Gebietsbesitzer und Verwalter eingeweiht. Denn es handelt sich dabei um die ersten genetischen Erhaltungsgebiete Europas. Deutschland ist somit Vorreiter um für die kommenden Generationen den Schatz an Möglichkeiten zur Nahrungssicherung zu erhalten.

Autor: MSc Tobias Herden, Doktorand im Projekt GE-Sell (tobias.herden@biologie.uni-osnabrueck.de)
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